Neue Erzählungen by Leopold von Sacher-Masoch

Neue Erzählungen by Leopold von Sacher-Masoch

Autor:Leopold von Sacher-Masoch [Sacher-Masoch, Leopold von]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen
Herausgeber: Bensheimer
veröffentlicht: 1892-12-31T23:00:00+00:00


Galeb Jekarim.

(Der Schwärmer. – Ein jüdischer Pilger. – Die Mauer des Tempels.)

Nie vergeh’ ich dein, Jerusalem.

Jehuda Ben Halevy.

Zweierlei Licht kämpfte in der kleinen, düstern Dachkammer gegeneinander, das Licht der Unschlittkerze, die zum Stümpfchen herabgebrannt war, und das Licht des Morgens, das durch den grünen Vorhang hereindrang. Es war hier wie das letzte Aufflackern eines Sterbenden, und dort wie der frische Athem eines Neugeborenen. Eine scheidende Seele und eine zweite, welche erwachte.

Das fahle, unruhige Licht der Kerze spielte auf den vergilbten Blättern des großen Buches, das auf dem Tisch aufgeschlagen war, Während der röthliche Schimmer des jungen Tages die bleiche Stirne des jungen Mannes beschien, der in seinem armseligen Lehnstuhl lag, in tiefes Sinnen versunken.

Seine schlanke Gestalt war in einen fadenscheinigen Kaftan eingewickelt, unter dem kleinen schwarzen Sammtkäppchen quoll schwarzes Haar in wirren Locken hervor und fiel schwermüthig in ein Gesicht, auf dem der Frühling der Jugend niemals aufgeblüht war, ein Gesicht, in das Leiden, Entsagung und Studium ihre scharfen Linien gezeichnet hatten, in dem nur die großen Augen leuchteten, dunkle Augen, die den Himmel suchten, die sich vom Leben abgewendet hatten, in eine andere Welt, in jene Oede, in welcher jede Farbe erlischt, jeder Ton erstirbt, in welcher die Hand in das Leere tastet und nur der Gedanke herrscht, erhaben, einsam, unbeschränkt.

Er war arm und krank, dieser bleiche Galeb Jekarim, welcher die Nacht vor seinen Büchern durchgewacht hatte, und doch war er glücklich. Er hatte keine Mutter, und seine Lippen hatten noch niemals den rothen Mund eines Weibes berührt, aber er hatte eine Geliebte gefunden, schöner als alle Frauen der Erde, und reicher geschmückt als alle Sultaninnen. Nichts war sein eigen, nicht einmal der Talmud, das heilige Buch, die einzige Quelle seiner Freuden, aber wenn er sich in die vergilbten Blätter versenkte, da war es, als ob ihm Fittiche wüchsen, die ihn emportrugen, hoch, immer höher, bis er endlich in einem Meer von Licht schwamm, tief unter sich den Qualm und das Gewimmel der Städte, die engen, dunklen Thäler, die weiten Flächen, die der Pflug durchzieht, die feuchte Wüste des Ozeans mit ihren segelnden Schiffen.

Da vergaß er alles, seine Armuth, seine Einsamkeit, diese brennende Sehnsucht nach Liebe in seinem Herzen, diese Traumgestalten der Freude, die in stillen Nächten um ihn webten, er vergaß die Schmerzen, das schleichende Fieber, das ihn quälte, nur Eines vergaß er nicht.

Wenn die Sonne leise durch den grünen Vorhang drang, und die elende Wand vergoldete, da war es, als schriebe eine unsichtbare Haut mit flammenden Lettern, an diese Wand, die Worte des großen, jüdischen Poeten, den einst Spanien gebar, den Vers Jehuda ben Halevy’s: Nie vergeß’ ich dein, Jerusalem!

Und wenn der Mond die kleine Stube mit seinem keuschen Licht erfüllte, da schien ein silberner Finger dieselben Worte auf den rauchigen Querbalken hinzuzaubern, und wenn er in der Dämmerung des Abends auf dem Friedhof saß und träumte, da flüsterten Geisterstimmen in den Wipfeln der Zypressen: Nie vergeß’ ich dein, Jerusalem!

Ein brennendes, verzehrendes Heimweh hatte sich seiner bemächtigt, ein Heimweh nach dem Lande seiner Väter, das er niemals gesehen, das er nur aus den Schilderungen der heiligen Schrift kannte.



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